von Johannes Huesmann, ehem. Ortsamtsleiter
Inhaltsübersicht:
Borgfeld, ein Stadtteil im Osten Bremens an der Grenze zu Niedersachsen, ist seit Jahrhunderten geprägt durch seinen dörflichen und landwirtschaftlichen Charakter. Rund 2/3 seiner Fläche von insgesamt 1659 ha sind auch heute noch Grün- und Wasserflächen. Auf einen ha Fläche entfallen nur viereinhalb Einwohner, eine Relation, die nur in einigen Randgebieten Bremens noch günstiger ist. Nicht ohne Stolz sprechen die Borgfelder daher von ihrem „Dorf an der Wümme", das sie lieben und das sie in seiner Eigenart - so wie es gewachsen ist - erhalten möchten. Alle Borgfelder, einschl. Beirat und Ortsamt, sind sich darin weitgehend einig.
Die Bevölkerungszahl Borgfelds, die von Mitte der 80iger bis Mitte der 90iger Jahre des vorigen Jahrhunderts etwa bei 4.600 stagniert hatte, nimmt seit einigen Jahren aufgrund verstärkter Bebauung wieder deutlich zu. Am 1. 12. 2000 lag sie bei 5.463 und erhöhte sich bis zum 31. 12. 2014 auf 9.070. Auch 2015 dürften wiederum einige Hundert hinzugekommen sein.
Diese Entwicklung ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass Borgfeld als Wohngebiet sehr geschätzt wird. Wenn die vorhandenen Neubaupläne alle verwirklicht werden, dürfte die Einwohnerzahl Borgfelds in den nächsten drei Jahren auf über 10.000 steigen. Die Sorge der Borgfelder geht nun dahin, dass dieser starke Zuwachs nicht problemlos verkraftet werden kann und die Integration der Neubürger eine längere Zeit erfordert.
Die Bevölkerung Borgfelds besteht heute nur noch zum geringen Teil aus alteingesessenen Landwirten und Handwerkern. In den 50iger Jahren kamen zahlreiche Vertriebene und Flüchtlinge hinzu, die längst voll integriert sind. Daneben ist Borgfeld in zunehmendem Maße Wohnsitz für Bremer Kaufleute, Manager, Professoren der nahen Universität, aber auch für Beamte, Angestellte und Facharbeiter, die in der „Stadt" ihre Beschäftigung finden. Die landwirtschaftlichen Betriebe, die einen wichtigen Teil der eigenen Identität ausmachten, sind in den vergangenen Jahren dagegen zahlenmäßig deutlich zurückgegangen. Im Ortskern existiert nur noch ein Hof als Vollerwerbsbetriebe. Hinzu kommen noch mehrere Höfe in Timmersloh, die sich allerdings in den letzten Jahren häufig zu Reiterhöfen verändert haben. Zusätzliche Arbeitsplätze werden vorwiegend vom örtlichen Handel sowie kleineren Gewerbe- und Handwerksbetrieben angeboten. Größere Industriebetriebe sind in Borgfeld nicht ansässig.
Borgfeld kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. 1985 konnte unter breiter Beteiligung der Bevölkerung die 750 Jahrfeier begangen werden. Dazu erschien eine umfangreiche Festschrift', die die wechselvolle Geschichte des Ortes im Einzelnen wiedergibt. Neuere Forschungen von Cordes haben zu dem Ergebnis geführt, dass die ersten Siedlungen in Borgfeld bereits um die erste Jahrtausendwende entstanden sind.
In der historischen Entwicklung Borgfelds lassen sich fünf Phasen unterscheiden. Das sumpfige moorige Brachland wurde ab 1106 durch Holländer urbar gemacht. Im Jahr 1235 wird Borgfeld (damals Bruchfelde) erstmals urkundlich erwähnt. 1281 ist bereits eine Kirche vorhanden. In den folgenden Jahrhunderten folgt die Zeit der Guts- und Ritterherrschaft (Borgfeld als Miniaturstaat). Das Dorf ist grundherrliches Eigentum verschiedener Familien, die häufig wechselten (bis 1595). Dann folgt die Zeit der Erbrichter und Vögte bis etwa 1810. Bis in diese Zeit waren die Borgfelder Bauern den Grundherren gegenüber zinspflichtig und ihnen als „Bauleute" und „Köthner" untertan. Neben den Erbrichtern, die sich mit den Ratsrichtern die rechtliche Hoheit teilten, standen die Vögte, die die Vertreter der Obrigkeit mit regelmäßigen Obliegenheiten waren. Von Einfluß bis heute blieb die Franzosenzeit von 1810 bis 1813, als die „Mairie" Borgfeld zusammen mit Bremen ein Teilgebiet Frankreichs war. Bald danach wurde das alte Borgfelder Gericht aufgelöst (1817) und die Obrigkeit durch beamtete Landherren, zwei Landvögte und die Land-Dragoner verkörpert. Mit der Landgemeindeordnung von 1870 entstand die „Samtgemeinde Borgfeld" mit Borgfeld und Katrepel, die sich ab 1889 „Gemeinde Borgfeld" nannte, mit den Dörfern Borgfeld, Warf, Butendiek, Timmersloh und Katrepel. Erst am 1. Dezember 1945 wurde die bis dahin selbständige Landgemeinde Borgfeld in die Stadt Bremen eingemeindet und ein Ortsteil Bremens. Zum ersten Amtsvorsteher (später Ortsamtsleiter) wurde Johann Wischhusen ernannt, der diese Funktion bis 1969 ausübte. Ihm folgten Albert Bremermann (1969-1975), dann Heinz Schulz (1975-1986), darauf Hans Otto Hänecke (1986-1995) und ab 1995 der Verfasser.
Aufgrund seiner Weiträumigkeit und seiner umfangreichen Grün- und Wasserflächen bietet Borgfeld gute Voraussetzungen für Projekte des Naturschutzes und der Naherholung. Von gesamtstaatlicher repräsentativer Bedeutung sind die Borgfelder Wümmewiesen, die 1987 mit einer Größe von 677 ha als Naturschutzgebiet mit einschränkenden Nutzungsregelungen für die Landwirtschaft und für Feizeit/Erholung festgelegt wurden. Mit ihren feuchtgebietstypischen Wasserständen dienen sie als wichtiger Vogelrastplatz und Brutgebiet (u.a. Kampfläufer, Kiebitz, Wachtelkönig, Uferschnepfe, Bekassine). Daneben ist die Wümmeniederung entlang der Wümme als Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Borgfeld ist seit langem ein bekanntes und beliebtes Naherholungsgebiet. Vielen älteren Borgfeldern und Bremern ist der Ratsspieker als Ausflugs- und Tanzlokal mit Bootsanleger an der Wümme noch in bester Erinnerung. Leider wurde er 1962 abgebrochen. Der Kreuzdeich, Borgfelder Deich, Holler Deich sowie der Kuhweideweg und andere landwirtschaftliche Wege werden nach wie vor für die Radtouristik intensiv genutzt. Ein Fernradweg (Weites Land), der Borgfeld durchquert und dann weiter über Fischerhude, Lilienthal, Grasberg bis nach Osterholz-Scharmbeck und zurück führt, dürfte zu einer weiteren Belebung des Radtourismus führen. Unterwegs können die Ausflügler eine Reihe von Borgfelder Sehenswürdigkeiten bewundern, die Dank des besonderen Einsatzes des ehemaligen Beiratssprechers, Dr. Carlsson, mit Texttafeln über ihre Historie versehen worden sind.
Das kulturelle und gesellschaftliche Geschehen in Borgfeld wird weitgehend von den zahlreichen Borgfelder Vereinen bestimmt. Sie bieten viele Angebote zur Gestaltung der Freizeit und tragen wesentlich zum Wohlbefinden der Bürger bei. Zu nennen sind hier vor allem der Borgfelder Bürgerverein, die Sportvereine, die Feuerwehren, Gesang- und Theatergemeinschaften sowie andere Interessengruppen. Sie alle leisten einen Beitrag zum friedlichen Miteinander und gegenseitigen Verstehen. Ihre Arbeit kann nicht genug gewürdigt werden und schließt erhebliche ehrenamtliche Leistungen ein. Besonders hervorzuheben ist die Jugendarbeit, die mehrere Vereine und die Evangelische Gemeinde erbringen. Der Beirat unterstützt diese Aktivitäten im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Als zwei besonders zu erwähnende Ereignisse aus jüngster Zeit seien hier noch der Bau des Kaisenstiftes und die Schaffung eines Borgfeld Archivs angeführt. Mit dem Bau des Kaisenstiftes im Jahre 1995 ist das Erbe Wilhelm Kaisens in eine Einrichtung von herausragender sozialer Bedeutung überführt worden. In drei Häusern mit 24 Plätzen finden geistig und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche ein neues zuhause. Ergänzt worden ist die Anlage durch eine Kaisengedenkstätte, die in der Scheune von W. Kaisen eingerichtet worden ist und inzwischen auf starkes Interesse stößt. Der Aufbau eines Borgfeld Archivs des Bürgervereins konnte beginnen, nachdem das vorherige Feuerwehrgerätehaus freigeworden war. Er ist noch in vollem Gange. Bedeutende Vorleistungen sind hier durch unseren Heimatforscher Wilhelm Dehlwes erbracht worden. Etliche Jahrzehnte hat er Material über Borgfeld und unsere nähere Heimat gesammelt und mehrere Bücher darüber veröffentlicht, Fotos und Filme gemacht und alles beim Heimatverein Lilienthal bzw.. bei sich zuhause aufgehoben und archiviert. Inzwischen hat er den größten Teil seiner wertvollen Materialien dem Borgfeld Archiv übergeben. Auch der ehemalige, inzwischen verstorbene Ortsamtsleiter Heinz Schulz hat mit der Gründung einer HeinzSchulz-Stiftung einen wichtigen ideellen und finanziellen Beitrag zur Schaffung des Borgfeld Archivs beigesteuert. Dieses Projekt wird vom Bürgerverein, dem Beirat und Ortsamt nachhaltig und auch finanziell unterstützt.
Ein wichtiges Ereignis für Borgfeld war die 2000 abgeschlossene Verschönerung und Attraktivitätssteigerung des Borgfelder Zentrums. Die Verwirklichung des Umbaus, der nicht nur die Anziehungskraft Borgfelds erhöht hat, sondern auch geordnete Parkverhältnisse schaffte, ist im Zusammenhang mit der Bebauung von Borgfeld Ost und West möglich geworden. Zur deutlichen Verschönerung des Ortskerns haben ferner die Aufstellung der Skulptur „Die Melkerin" und in jüngster Zeit eine neue Dorfuhr beigetragen. Unser „Dorf" hat damit ohne Zweifel deutlich an Anziehungskraft und Ausstrahlung gewonnen, was vor allem auch den einheimischen Geschäftsbetrieben zugute kommen dürfte.
Wenn sich die Probleme in Borgfeld auch im Vergleich zu manchen anderen Stadtteilen in Grenzen halten, gibt es in der Bevölkerung doch nicht zu leugnende Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung. Diese beziehen sich vor allem auf die umfangreiche neue Bebauung und die gegenwärtigen Verkehrsverhältnisse. Zwar haben sich Beirat, Ortsamt und die überwiegende Bevölkerungszahl von Anfang an mit der geplanten Bebauung von Borgfeld Ost (400 Wohneinheiten) einverstanden erklärt, gegenüber Borgfeld West (850 Wohneinheiten) besteht aber nach wie vor eine gewisse Skepsis, die jedoch deutlich zurückgegangen ist, nachdem die ersten Baufelder bebaut worden sind. Die Sorge besteht noch, dass hier ein verkraftbares Maß an Bevölkerungszuwachs überschritten wird und eine reibungslose Integration nicht gelingt. In Borgfeld Ost ist die Vermarktung und Bebauung der Grundstücke durch die zu diesem Zweck gegründete Projektgesellschaft Borgfeld inzwischen abgeschlossen. Die Mehrzahl der Grundstücke sind bauträgerfrei vermarktet worden. Damit wurde eine eintönige und uniforme Bebauung verhindert. Mehrere im Baugebiet geschaffene Fleete, Fuß- und Radwege garantieren, dass hier auch die Naherholung nicht vergessen worden ist.
Die noch vorhandenen Bedenken gegen Borgfeld West haben spürbar nachgelassen, nachdem die ersten sieben von insgesamt 10 Baufeldern vermarktet und meist bebaut worden sind. Seitdem gerichtlich entschieden wurde, dass die Bebauung von West erlaubt ist, um vor allem eine Abwanderung aus Bremen zu verhindern, sehen es Beirat und Ortsamt als selbstverständlich an, diese zwar kritisch aber durchaus positiv zu begleiten, um auch hier eine aufgelockerte Bebauung zu erreichen. Besonders begrüßt wird, dass die geplanten und dem Bedarf gerecht werdenden Infrastrukturgebäude (Kindertagesstätte, zweizügige Grundschule, Jugendeinrichtung, Zwiefach-turnhalle) 2005 errichtet und in Betrieb genommen werden konnten, nachdem es in einer gemeinsamen Aktion von Projektgesellschaft Borgfeld, den zuständigen Behörden und dem Beirat gelungen war, die notwendige Vorfinanzierung zu vereinbaren und abzusichern.
Wichtig für Borgfeld ist ferner, eine befriedigende Lösung für die noch vorhandenen Verkehrsprobleme zu finden. Nachdem die Linie 4 bis Borgfeld gegen den heftigen Widerstand des Beirates und der Mehrheit der Bevölkerung gebaut worden ist, fließt der Individualverkehr auf den Heerstraßen besser als erwartet. Die Nutzer der Straßenbahn, vor allem Schüler und Senioren, können ohne Umsteigen nun bequem direkt bis zur Stadtmitte und darüber hinaus fahren. Trotz dieser Vorteile bleibt die Befürchtung, dass die verengten Straßen auf Dauer für die Bewältigung des steigenden Individualverkehrs nicht ausreichen werden. Eine Entlastungsstraße von Lilienthal direkt in Richtung Autobahnanschluß in Horn bleibt daher nach wie vor notwendig, wenn sie auch zurzeit politisch nicht durchsetzbar ist. Begründet wird die Forderung nach der „Trasse durch das Holler Land" auch damit, dass der Schleichverkehr durch die Wohngebiete weiterhin zu hoch ist und zu häufigen Beschwerden führt. Die Lösung dieses Problems ist bisher nicht voll gelungen, obwohl inzwischen durch den Bau von Verkehrshindernissen auch hier Verbesserungen erzielt wurden.
Die Stark umstrittene Entlastungsstraße Lilienthal an das Borgfelder Straßennetz ist nun fertiggestell. Auch die Verlängerung der Linie 4 nach Lilienthal ist mittlerweile in Betrieb. Die erhofte Entlastung der Borgfelder Straßen hat sie leider bis Heute nicht gebracht.
Nach Ansicht vieler Mitbürger waren dieses Vorhaben viel zu teuer und bringen auch keine Lösung der immer noch anstehenden Verkehrsprobleme.
Die Borgfelder sind sich weiterhin darin einig, dass der ländliche Charakter unseres „Dorfes" trotz der stark wachsenden Bevölkerung und der zunehmenden Bebauung weitgehend gesichert und erhalten bleiben muss. Dazu gehören auch die noch vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe, auch wenn es manchmal nach Gülle „riecht". Die verstärkte Bebauung hat zwangsläufig spürbare Strukturveränderungen zur Folge. Trotzdem besteht kein Grund zum Pessimismus. Die aufgelockerte Bebauung von Borgfeld Ost und auch von Borgfeld West hat eine unerwünschte und problematische Verdichtung verhindert. Es kommt nunmehr wesentlich darauf an, dass die Integration der Neubürger gelingt. Eine wichtige Aufgabe kommt hierbei den zahlreichen Borgfelder Vereinen und der Kirchen zu, die sich schon bisher als Schmelztiegel für neue Mitbürger erwiesen haben. Wenn Beirat, Ortsamt und die Einwohner auch weiterhin bei dieser großen Aufgabe gut zusammenarbeiten, kann man durchaus optimistisch in die Zukunft schauen.
1) Borgfeld - Eine alte Landgemeinde Bremens, Hrsg. Wilhelm Dehlwes im Eigenverlag 1984, s. dort vor allem den Beitrag von H. Schulz: Die Verwaltung - Vom Erbgericht zum Ortsamt.
2) Cordes, Hermann: Borgfeld wird immer älter in: Heimat-Rundblick Nr.. 4, S. 9/2005.
Fotos: Erwin Duwe, 28865 Lilienthal